Der Gedanke, dass man Zähne möglichst nicht verblocken darf, stammt aus einer Zeit, in der man zumindest in Deutschland noch nicht recht viel über Parodontitis wusste. Man war der irrigen Ansicht, die Parodontitis werde durch die Behinderung der Eigenbeweglichkeit der Zähne gefördert, unterhalten oder gar ausgelöst. Bei deutlichem Knochenabbau und guter Mundhygiene ist jedoch genau das Gegenteil der Fall, insbesondere dann, wenn Schlechte Gewohnheiten hinzu kommen. Schlechte Gewohnheiten in Verbindung mit Parodontitis stellen sozusagen den Super-Gau für das Peridontium dar. Die Ruhigstellung bei Überlastung ist ja auch nicht umsonst seit Menschengedenken die Therapie der Wahl.
Nachdem man dann gemerkt hatte, dass die Entstehung der Parodontitis etwas mit schlechter Mundhygiene zu tun hatte und das Putzen, insbesondere mit dem Interdental-Bürstchen, durch die damals übliche Verblockung von oben bis unten mit Verschluss der Interdentalräume massiv behindert bzw. unmöglich gemacht wurde, hat man sich leider nicht darauf beschränkt, die Art der Verblockung zu ändern, um dadurch das segensreiche Wirken der Verblockung, nämlich die Ruhigstellung und Stabilisierung schwacher, vorgeschädigter Pfeiler, zu bewahren, sondern man hat vielmehr das Kind mit dem Bade ausgeschüttet und das damals gültigen Dogma „Alles muss verblockt werden!“ einfach durch ein neues und genau so falsches ersetzt. Seitdem wird gelehrt: „Nichts darf verblockt werden!“
Differenziert formuliert könnte man heute sagen: „Was nicht verblockt werden muss, braucht nicht verblockt werden, was jedoch verblockt werden muss, muss in jedem Falle verblockt werden. Das eine vom anderen im individuellen Fall und in der Vorausschau zu unterscheiden, ist (zahn) ärztliche Kunst!“
Im Oberkiefer kann die Indikation zur Verblockung mit Sicherheit weiter und großzügiger gestellt werden als im Unterkiefer. Sie ist dort zugleich weniger problematisch, weil der Oberkiefer unbeweglich mit dem Schädel verbunden ist (deutlich weniger Verwindung bei Kraftausübung), als auch aufgrund der von Natur aus schlechteren Qualität des Knochens zum Zahnerhalt deutlich häufiger notwendig. Man denke in diesem Zusammenhang nur an den alten Merksatz: „Oben Total, unten Stahl, ganz normal“, der die Ergebnisse der vergeblichen Bemühungen einer ganzen Generation von Zahnärzten charakterisiert.
Der folgende Fall beschreibt eine typische Behandlungssituation, in der die Versorgung mit dem vielgeschmähten „Hufeisen“ die Therapie der Wahl für den langfristigen Erhalt nicht nur der Versorgung, sondern vielmehr auch der Stützpfeiler darstellt.
Ausgangsituation: Knochenabbau, jetzt schon lückig und protrudiert stehende, zunehmend auswandernde Front mit hohen Lockerungsgraden bei Parodontitis und Bruxismus. Der Zahn 22 hat L=III/2 und ist nicht zu erhalten. (Klick!).
Überlegenswert wäre es, die Brücke zwischen den Einsern zu trennen, da ja eine protrudiert stehende Front in der Regel Probleme mit der Einschubrichtung mit sich bringt. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Patienten mit Schlechten Gewohnheiten sehr wohl in der Lage sind, auch eine solche Versorgungssituation nach vorne seitlich zu protrudieren, was nicht nur zu einem unästhetischen Diastema führt, sondern vielmehr die Gesamtkonstruktion durch die Entstehung von Lockerungsgraden gefährdet. Wir ziehen deshalb in Fällen, in denen aufgrund der Zahnstellung und der Zahnlänge sehr stark beschliffen und gekürzt werden muss die vorbeugende Wurzelbehandlung nach sorgfältiger Desinfektion vor. In diesem Fall ging es gerade noch so. Individuell gefräste Geschiebe stellen nach unserer Langzeit-Erfahrung insbesondere bei schlechten Gewohnheiten keine langfristige befriedigende Lösung dar, weil sie mit den Jahren leider ausleiern (siehe: Fallbeispiel).
Es versteht sich von selbst, dass eine solche Arbeit große Anforderungen an den behandelnden Zahnarzt und an den Zahntechniker stellt. An den Zahnarzt, weil er gleichzeitig steil und einschubgerecht präparieren muss, um die notwendige Friktion zur Vorbeugung des spontanen Dezementierens zu erzeugen (keine Tipi-Zelte), ohne die Pulpa zu knacken, an den Zahntechniker, weil ein solches Gerüst passen muss wie angegossen, dass heißt ohne zu schaukeln und mit einer Friktion, die es auch ohne Zement schwierig macht, sie einzusetzen und zu entfernen, um auch auf lange Sicht einer Dezementierung ausreichend vorzubeugen. Wegen der Größe der Spanne muss eine solche Brücke selbstverständlich in mehreren Teilen angefertigt und sekundär verlötet werden. Um die Einschubrichtung und die Passung im Mund überprüfen und sicher stellen zu können, werden die verschiedenen (in diesem Falle 3) Teile des Gerüstes vor der Einprobe verlasert, zur Verblendung wieder getrennt und dann verlötet. Dass die Stümpfe in solchen Fällen bei der Gerüsteinprobe leicht radiert werden müssen, bleibt in der Regel nicht aus. Selbstverständlich muss der Patient angehalten werden, in der Folge einer solchen Versorgung eine nächtliche Aufbiss-Schiene zu tragen. Das ist der Preis der Freiheit.
Der vitale Zahn 12 wurde aufgrund seines starken Knochenabbaus und der großen alten Füllung nach sorgfältiger Desinfektion wurzelbehandelt, um wahrscheinliche Komplikationen zu vermeiden. Der Wurzelkanal eines kleinen Zweiers ist ja durch eine Restauration besonders schwer zu treffen, wobei es in der Folge der Suche sehr leicht zu einer unkontrollierten Beschädigung des Zahnstumpfes mit nachfolgend deutlich wahrscheinlicherer Dezementierung kommen kann.
Der Zahn 15 war bei Zustand nach WF und WSR vor sehr langer Zeit nach EKR zwar klinisch nicht klopfempfindlich, wies aber trotz einer langjährigen Schienung in der Brücke einen leichten Lockerungsgrad auf, weshalb er vorbeugend extrahiert wurde, da er nicht als langfristig sicher eingestuft werden konnte und in Folge der Verblockung für die Gesamtkonstruktion nicht unbedingt erforderlich war. In diesem Fall gilt eben wirklich der Satz: „If doubt, take out!“
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