Warum wir in diesem Falle das Wort „natürlich“ in Gänsefüßchen setzen sehen Sie am folgenden Fall. Auf der einen Seite ist Zahnverlust irgendwie natürlich. Auf der anderen Seite ist er zumindest in unserer Gesellschaft irgendwie auch nicht mehr natürlich, zumindest dann nicht, wenn der Patient an der Erhaltung seiner natürlichen Zähne Interesse hat, regelmäßig zum Zahnarzt geht und dieser in der Zahnerhaltung versiert ist.

Die Patientin des Falles, den wir jetzt beispielhaft demonstrieren, suchte unsere Praxis auf, weil sich innerhalb weniger Tage eine sich kontinuierlich steigernde, zunehmend schmerzhafte Einschränkung der Mundöffnung eingestellt hatte. Die Schmerzen werden als ziehend in Richtung linkes Kiefergelenk beschrieben, die ins Ohr ausstrahlen und den ganzen linken Kopfbereich und den Nacken erfassen. Dies ist die typische Schmerzbeschreibung bei Überlastung.

Anamnestisch gibt die Patientin an, eine schwierige Phase in ihrem Leben durchzumachen. Sie habe zur Zeit einige private Probleme, die sie durchkauen müsse.

Maximal mögliche, stark schmerzhafte Mundöffnung bei der Erstuntersuchung (Klick!).

Schon diese geringe Mundöffnung ist äußerst schmerzhaft. Die Kaumuskulatur (Masseter) ist stark verspannt. Es finden sich Krepitationsgeräusche und initiales Knacken im Kiefergelenk. Es ist nur unter großer Anstrengung und Schmerzen möglich, Alginat-Abdrücke zur Anfertigung von Modellen für eine Entspannungsschiene und die Registrierung zu nehmen.

Die Inspektion der Mundhöhle ist aufgrund der geringen Mundöffnung schwierig. Auffällig ist ein fehlender 36 mit einem in die Lücke kippenden 37.

Bei Zahnkippung muss man immer mit Fehlkontakten in Form von Gleithindernissen bei den Laterotrusionsbewegungen rechnen, da sich der kippende Zahn mesial absenkt und dabei distal verlängert. Am 33 ist eine deutliche Schlifffacetten zu erkennen.

In dieser ersten Sitzung erfolgt wegen der Unübersichtlichkeit keine Therapie. Die Patientin wird für den nächsten Tag zur Adjustierung und Eingliederung der Doppelschiene und zur Registrierung bestellt.

Am Folgetag erkennt man nach der Registrierung im Artikulator deutlich die Kippung von 37, der bei der Laterotrusionsbewegung mitführt. In der Habituellen findet sich ein einzelner zentrischer Frühkontakt zwischen 26 und dem distalen, verlängerten Anteil von 37.

Der zentrische Frühkontakt und die Hindernisse bei der Laterotrusion werden am Modell beseitigt. Das Ergebnis wird durch Einschleifmaßnahmen in den Mund übertragen. Anschließend wird die Doppelschiene eingegliedert und adjustiert.

Bereits nach einer Woche konsequenten Schienen-Tragens ist die Mundöffnung wesentlich erleichtert, aber noch nicht schmerzfrei und maximal möglich. Das anfangs stark entzündete Zahnfleisch ist weitgehend abgeheilt und unauffällig. Die Mundhygiene ist wieder möglich.Die Krepitationen im Kiefergelenk sind deutlich gemindert, das initiale Knacken ist verschwunden. Der Spannungs-Tonus der Mundschließer ist deutlich gemindert, die Mundöffner kommen wieder besser gegen die Schließer an. Es bestehend immer noch Schmerzen bei forcierter Mundöffnung. Die spontanen Schmerzattacken sind jedoch verschwunden.

Aus diesem Fall können wir Folgendes lernen:

Langfristig bestehende Okklusionshindernisse bleiben solange symptomlos wie keine „schlechten Gewohnheiten“ unter Missbrauch der Zähne ausgeführt werden. In schwierigen Lebenssituationen, in denen es „Probleme durchzukauen“ gibt, wodurch die Zähne überlastet werden, kann sich das schlagartig ändern. Die schmerzhaft eingeschränkte Mundöffnung in Folge unbewusster „schlechter Gewohnheiten“ zum Spannungsabbau stellt in diesem Sinne eine Somatisierung einer psychogenen Stress-Situation da. Echte Psychosomatik eben.

Die OK-Frontkronen waren klobig und konvex gestaltet. Sie produzierten dadurch Frühkontakte bei inadäquater Frontzahnführung. Das Bild zeigt die nunmehr zwar bis aufs Metall eingeschliffenen, dafür aber regelrecht gestalteten Frontzähne. Das Lispeln, das nach Zementierung der Front aufgetreten war, verschwand innerhalb weniger Tage.

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