Die Endodontologen haben eine Heidenangst vor dem koronalen Leck, auf Neudeutsch „coronal leakage“, das in ihren Augen für ihre hohe Misserfolgsquote verantwortlich ist. Dahinter steht die merkwürdige Vorstellung, ganz schlimme Bakterien aus der Mundhöhle würden sich unter völliger Nahrungskarenz durch Füllung, Aufbaufüllung und Wurzelfüllung quälen, mit dem Ziel und der Hoffnung, irgendwann halb verhungert aber glücklich die Wurzelspitze zu erreichen, um daselbst ihre eigentliche Bestimmung erfüllen und ein Granulom produzieren zu können. Die Meister unter den Bakterien sollen das sogar bei überkronten Zähnen schaffen.

Das allein hört sich so merkwürdig an, dass man es so schon kaum glauben mag. Nachgerade abwegig sind diese verzweifelten Erklärungen für den eigenen Misserfolg vor dem Hintergrund der Tatsache, dass gerade zum zweiten Mal histologisch nachgewiesen wurde, dass zahllose Bakterien die endodontische Behandlung im Hohlraumsystem, also auch ganz in der Nähe des Apex, überleben. Warum sollten diese wohl mit ihrer Vermehrung warten, bis die Kollegen aus der Mundhöhle endlich angereist kommen? Ich kann dafür keinen plausiblen Grund erkennen.

Die aus Angst vor dem koronalen Leck geborene neue Mode bei den Endodontologen – es muss einfach etwas oder jemand Anderes Schuld sein als das eigene Behandlungsprotokoll- , den ersten Zentimeter der Wurzelkanäle nach Abfüllen noch einmal auszubohren und durch eine Kunststofffüllung in SÄT zu ersetzten, führt dazu, dass man sie ohne ein Dentalmikroskop nur noch unter sehr hohem Risiko der iatrogenen Schädigung (via falsa) revidieren kann. Vielleicht ist das ja auch Teil der Übung.

Ich sehe nicht länger ein, dass ich als Nachbehandler dieses Risiko auf mich nehmen soll. Deshalb schicke ich die betroffenen Patienten inzwischen mit einem schönen Gruß zurück zu ihrem Spezialisten, er möchte doch dieses Zeug, das nach meiner Überzeugung keinen anderen Sinn habe, außer die notwendige Revision und Ausheilung zu erschweren, bitte wieder herausmachen. Das machen sie dann auch. Aufbereiten können sie ja.  In der Folge habe ich mit solchen Fällen keine Mühe mehr, sondern kann ohne risikobehafteten Umweg sofort mit der eigentlichen Behandlung dieser einfachen bakteriellen Infektionskrankheit in diesem seit 100 Jahren vollständig beschriebenen anatomischen Umfeld beginnen.