Radix-Anker haben einen nicht allzu guten Ruf. Nach Ansicht ihrer Kritiker lockern sie sich zu häufig. Wir denken, dass es sich dabei in vielen Fällen um einfache Anwendungsfehler handelt.

Der Patient stellte sich im März 2006 knapp 2 Jahre nach Eingliederung der Brücke 35-37 mit gelockerter Krone am Zahn 35 vor. Durch die alten Aufnahmen sind die beiden Gründe für das zwangsläufige Scheitern der Versorgung belegt:

1) Der Radix-Anker liegt nicht kongruent mit seiner Schulter auf Zahnsubstanz auf, ist also nicht gegen die bei Lateralbewegungen auftretenden Kräfte geschützt. Eine satt aufliegende Schulter verhindert Lockerungen unter einer solchen Belastung zuverlässig. Der Hohlraum zwischen dem Ende des Stiftes und dem Rest der Wurzelfüllung zeigt, dass zwar tief genug bis zum Anschlag des Bohrers vorgebohrt wurde, dass aber vergessen wurde, die Stirnfräse indikationsgerecht einzusetzen. Diese planiert zum einen die unabdingbare Auflagefläche für die Schulter, zum anderen entspricht ihre Dicke genau der hier zu sehenden Distanz zwischen dem unteren Ende des Ankers und oberem Ende der Wurzelfüllung.

2) Beim Vergleich der Höhe der Knochenlinie sieht man, dass der Zahn nicht bzw. in keinem Falle ausreichend durch die Krone gefasst ist. Hier sind circumferent mindestens 2 mm erforderlich. Wenn man genau hinschaut, kann man im mesialen Bereich mit etwas Phantasie sogar einen kleinen Spalt erkennen.

Jeder dieser beiden Fehler allein hätte ausgereicht, die Versorgung mittelfristig scheitern zu lassen. In Kombination sind sie tödlich und führen in kurzer Zeit zum Verlust der Versorgung.

Um Fehler 2 zu vermeiden, ist es im vorliegenden Fall erforderlich, die Krone chirurgisch zu verlängern. Am schnellsten und atraumatischsten geschieht das, indem man ohne aufzuklappen mit dem scharfen Diamanten eine Rille in den Knochen fräst. Keine Angst vor der so genannten „biologischen Breite“. Der bleibt bei guter Mundhygiene gar nichts anderes übrig, als sich neu einzustellen. Und das tut sie auch zuverlässig!.

Um Fehler eins zu vermeiden, geht man folgendermaßen vor:

  • Vorbohren mit dem 1. Vorbohrer bis zum Anschlag
  • Vorbohren mit dem 2. Vorbohrer bis zum Anschlag
  • Versenken der Stirnfräse um ca. 1 mm
  • Eindrehen des Radix-Ankers.

Radix-Anker haben ein selbstschneidendes Gewinde. Entsprechend müssen sie auch behandelt werden, um Längsfrakturen, für die sie gerne verantwortlich gemacht werden, zuverlässig zu vermeiden. Dass ein Wurzelstift über ein selbstschneidendes Gewinde verfügt, bedeute nämlich keineswegs, dass man in einfach in einem Rutsch gegen jeden Widerstand bis zum Anschlag eindrehen kann. Auch wenn das Gewinde selbstschneidend ist, muss man es nichtsdestotrotz schneiden. Und ein Gewinde schneidet man so:

  • Gefühlvolles Eindrehen nach rechts, solange es sehr leicht geht
  • wenn es anfängt schwerer zu gehen, eine halbe Umdrehung zurück, also nach links
  • dann eine ganze Drehung nach vorn, also nach rechts
  • dann wieder eine halbe zurück, also nach links…usw.
  • liegt der Anker leicht und plan auf der dafür mit der Stirnfräse geschaffenen Wurzeloberfläche auf, STOPP! Jetzt nicht festdrehen, sondern Kontrollaufnahme machen!
  • Wenn man alles richtig gemacht hat, zeigt die Kontrollaufnahme jetzt kongruente Verhältnisse und keinen oder nur noch einen minimalen Spalt zwischen dem kaudalen Ende des Stiftes und dem apikalen Ende der Restwurzelfüllung. Erscheint der Spalt zu groß, liegt entweder die Schulter nicht plan auf (dann vorsichtig mit hin und zurück tiefer reindrehen), oder man hat die Stirnfräse nicht tief genug versenkt, was man nachholen kann.
  • Jetzt dreht man den Radix-Anker wieder raus
  • Anschließend beschickt man das Gewinde mit ganz WENIG sahnigem Zement (wir nehmen Harvard-Zement)
  • Dann führt man den Anker in den Stollen ein und dreht erst einmal eine Viertelumdrehung in die falsche Richtung, also nach links. Damit stellt man sicher, dass das Gewinde des Ankers auch in das vorgeschnittene Gewinde gleitet, so dass man jetzt kein neues zweites Gewinde schneidet.
  • Jetzt dreht man den Stift zügig ein, was bis zum Anschlag ziemlich leicht gehen sollte. Wenn es schwer geht, dann ist man dabei, ein zweites Gewinde zu schneiden. In diesem Falle nicht mit Gewalt bis zum Anschlag reindrehen, sondern wie oben beschrieben, eine halbe Umdrehung zurück, dann eine ganze vor, wieder eine halbe zurück, usw. Etwas beeilen sollte man sich jetzt schon, damit der Zement nicht hart wird!
  • Wenn die Schulter aufliegt, wird es ernst. Jetzt muss man nämlich Zug auf die Schraube bringen, ohne sie doll zu drehen, sie also einerseits mit sehr viel Gefühl aber andererseits dennoch richtig festdrehen, ohne das vorgeschnittene Gewinde zu zerstören.
  • Ist das geschafft, kann man den noch weichen Zementüberschuss jetzt mit einem scharfen Wasserstrahl entfernen. Das erspart überflüssiges Rumgepopel am ausgehärteten Überschuss und man kann gleich mit dem Ätzen für den Kunststoffaufbau anfangen.

Das Gefühl zu beschreiben, das man hat, wenn der Radix-Anker genau richtig festgedreht ist, ist schwer zu beschreiben. Es ist in großem Maße abhängig von der Härte des Dentins und deshalb von Zahn zu Zahn unterschiedlich. Es ist so in etwa das Gefühl, das man früher hatte, wenn man eine genauso wichtige wie schwer ersetzbare, nichtsdestotrotz aber festgerostete Schraube, die man bei seinem alten Käfer – um die kinetische Energie für sich zu nutzen- mit einem gefühlvollen, kurzen, harten Schlag (bloß nicht mit dem Schraubenschlüssel versuchen!) glücklich gelöst hatte, wieder genau richtig festdrehte, ohne sie abzureißen und dadurch in Teufels Küche zu kommen.

Alles hängt eben mit allem zusammen. Das Problem ist, dass kaum noch ein junger Kollege über diese wertvollen Erfahrungen verfügt…..smile… Der Lohn dieser indikationsgerechten Schneide- und Schrauberei ist, dass man praktisch keine Längsfrakturen sieht, über die ja auffällig oft berichtet wird.