Dieser 29jährige Patient suchte uns zum Ziehen eines Fadens bei Zustand nach chirurgischer Entfernung seines Lippenbändchens auf. Die Indikation zu diesem Eingriff war gestellt worden, nachdem das Zahnfleisch sich von den relativ neuen Kronen relativ schnell zurückgezogen hatte und die Zahnhälse relativ frei lagen.

Die eigentliche Ursache für den Attachementverlust an den oberen Schneidezähnen sind deutliche iatrogene Frühkontakte auf den viel zu dicken Frontzahnkronen, die zu einem chronischen Frontzahntrauma führen. Solche Traumata führen in relativ kurzer Zeit zum Verlust von vestibulärem Knochen, dem das entzündungsfreie Zahnfleisch folgt, und auf Dauer zu Zahnlockerungen.

Regelmäßig zu beobachten ist, dass die Patienten die Frühkontakte sehr häufig nicht bemerken, aber nach ihrer Entfernung durch indikationsgerechtes Einschleifen sofort äußern, dass es „jetzt viel angenehmer“ ist.

Die Okklusion ist nicht statisch sondern dynamisch. Schäden wie oben finden sich ausgesprochen häufig auch im natürlichen Gebiss. Ohne indikationsgerechte Therapie kann diese Pathologie in Abhängigkeit von der Qualität des Zahnhalteapparates und dem Abrasionswiderstand der Zähne zu Zahnlockerungen, horizontalem Knochenabbau, vertikalen Knocheneinbrüchen, Auffächerung der Front und letztlich zu Zahnverlusten führen. Ursache ist häufig die im rechten Bild zu beobachtende, als „sekundärer Engstand des Erwachsenen“ bezeichnete, im Laufe der Jahre häufig kontinuierlich zunehmende Schachtelstellung der Unterkieferfrontzähne. Nach unserer Auffassung ist sie häufig Ausdruck funktioneller Überlastung wegen schlechter Gewohnheiten wie starkem Pressen mit anschließendem Schieben nach mesial, was zu Mesialisierung und in der Folge zu Platzmangel in der UK-Front führt. Mindestens einer, häufig wie oben auch zwei Zähne weichen dabei nach vestibulär, der andere bzw. die anderen beiden weichen nach lingual aus mit der Folge der Traumatisierung der OK-Frontzähne (siehe auch unter Veröffentlichungen und daselbst unter „Leider nicht veröffentlicht„)

Da die im späten Stadium gelockerten Frontzähne dem Trauma nach vestibulär ausweichen, lässt sich das Artikulationspapier häufig nichtsdestotrotz sehr leicht „durchziehen“, wodurch die Fehlkontakte kaschiert werden. Für die richtige Diagnosestellung müssen sie erst in die Position zurückgedrückt werden, aus der sie kommen. Diese liegt deutlich lingual von derjenigen, in der sie jetzt stehen. Am Besten gelingt die Diagnose, indem man den rechten Zeigefinger flacht auf die Oberkieferfront legt und die Frontzähne leicht nach lingual drückt. Wenn man den Patienten in dieser Situation im Schlussbiss „klappern“ lässt, fühlt man die Frühkontakte und die durch sie hervorgerufenen Traumatisierung der OK-Frontzähne sehr deutlich.

Die indikationsgerechte Therapie besteht in entlastendem Einschleifen im Ober- respektive Unterkiefer und der Verordnung einer adjustierten Aufbisschiene im Oberkiefer für die Nacht. Im Unterkiefer ist dabei nicht selten eine deutliche ästhetische Verbesserung im Sinne einer Harmonisierung der Frontzahnlinie verbunden. Diese Maßnahmen führen zuverlässig zum Sistieren der Lockerungsgrade. Bei extremen Schäden und/oder weit aufgefächerter Front können im Spätstadium zum Zahnerhalt auch sehr invasive Maßnahmen erforderlich werden.

Patienten mit der Tendenz zur Mesialisierung der Unterkieferfront bedürfen aufgrund der Dynamik in ihrer Okklusion der engmaschigen Überprüfung auf Früh- und Fehlkontakte in der Front bei jeder Routine-Untersuchung und müssen wegen der Tendenz, Rezidive zu entwickeln, häufig eingeschliffen werden.