In einer zahnärztlichen Newsgroup hatten wir eine ausführliche Diskussion über die Zusammenhänge bei Augmentation, Lockerungsgrad, Zahnerhaltung durch PAR, oder Ex und Implantate. In dieser Diskussion wurde Prof. Lindhe mit der Bemerkung zitiert, er habe seine Meinung zugunsten der Implantologie geändert. Bei deutlichem Knochenabbau und Progredienz schätze er die Erfolge implantologischer Maßnahmen heute höher ein als diejenigen konservierender Parodontaltherapie. Wir denken, er bezog sich hier insbesondere auf (zumindest auf den ersten Blick) vermeintlich therapieresistente Parodontitiden.

Wir möchten hier in diesem Zusammenhang einen besonderen Fall vorstellen, der sehr schön unserer Auffassung von der Therapie der Parodontitis, der Notwendigkeit und dem Segen der Verblockung, der Notwendigkeit und dem Segen der Wurzelbehandlung mit sorgfältiger Desinfektion (Zusammenhang Pulpitis-Parodontitis) ab einem gewissen Grad von Knochenabbau (1/3 des Zahns im Knochen, 2/3 des Zahns im Mund) und vor allen Dingen die Notwendigkeit beschreibt, bei Verdacht auf therapieresistente Parodontitis erst einmal alle Möglichkeiten der Therapie auszuschöpfen, ehe man die Flinte ins Korn schmeißt.

 

Ausgangs-OPT vom August 1999 (Klick!)

OPT 1: (Erstbefund August 1999): massive Parodontitis, deutlicher horizontaler Knochenabbau mit vertikalen Einbrüchen, auswandernde Front, stark verlängerte Zähne, bis auf 27 alle Zähne stark gelockert, mindestens I-II, Front und 14/15 L= deutlich II, massiv Pus

Therapie: Vorbehandlung (mehrmals ZST, quadrantenweise Kurrettage ohne LA durch die ZMF), danach deutliche Festigung, aber immer noch Pus beim Melken der Taschen, daher geschlossene in LA Kurrettage unter Doxycyclin-Abdeckung in 4 Sitzungen, Schienentherapie

Ergebis: Sehr starke Reduzierung der Lockerungsgrade, teilweise L=0, maximal L=0-1

Dezember 1999: ausgeprägtes Rezidiv, wieder deutliche Lockerungsgrade und Pus, nochmals gschlossene Currettage unter Doxcyclin. Jetzt haben wir deutlich den Verdacht, dass es sich möglicherweise um eine. therapieresistente Parodontitis handeln könnte. Der Befund heilt unter dieser Therapie gut ab, es verbleiben jedoch leichte Lockerungsgrade.

Eigentlich sollte die Patientin festsitzend versorgt werden, angesichts dieses Befundes wurde ihr jedoch zu einer modifizierten Teleskop-Versorgung mit primär über parallel gefräste Stege verblockten Teleskopen geraten (siehe unter Rationelle Prothetik).

Januar 2000: 1. Par-Abszeß mit Fistel 14/15, 15: L=II-III, 14:L=II

Therapie: WK von 14 und 15, WF nach sorgfältiger Desinfektion, Doxy, Fistel heilt ab, L=I, wieder vermehrt Pus bei Melken aller Taschen

Die Patientin will herausnehmbaren Zahnersatz unter allen Umständen vermeiden, auch wenn es nur für einige Jahre ist. Es erfolgt Aufklärung über unserer Auffassung vom Zusammenhang zwischen Knochenabbau, therapieresistenter. Parodontitis und chronischer Pulpitis, Knirschen-Pressen-Pumpen und die Möglichkeiten, dieses Problem durch Wurzelbehandlungen nach der Timbuktu-Methode mit anschließender Verblockung möglicherweise in den Griff zu bekommen. Sie willigt ein, diesen Weg zu beschreiten.

Juni 2000: Bis auf 27 WK an allen übrigen Zähnen mit sorgfältige Desinfektion. Anschließend WF, provisorisches, tiefes Beschleifen mit radikaler Kürzung und finaler Kurrettage in einer Sitzung und primäre Verblockung über laborgefertigtes Langzeitprovisorium.

Ergebnis: Allein durch diese Maßnahmen werden alle Zähne nach ca. 4 Wochen sehr fest, L in der Regel 0, 14/15 L=0-1, das Zahnfleisch heilt völlig aus, es triff bei melkendem Druck auf die Resttaschen an keiner Stelle mehr Pus aus.

Kontroll-OPT nach WF und Zementierung der Restauration (Klick!)

OPT2: August 2000: nach WF und Zementierung des Hufeisens nach Probetragen, einzeln hergestellt, sekundär in Ofenlötung verblockt, alles ist wunderbar. Über die distale Wurzel von 16 waren wir zunächst auch erschrocken, aber erstens kann man diese ja sehr leicht amputieren, so wie sie da steht, und zweitens sieht man an den Zahnfilmen, dass das überpresste, resorbierbare WF-Material nach und nach tatsächlich resorbiert wird. In diesem Sinne also kein Grund zur Panik.

November 2000: 2.Par-Abszess 14/15, wir hätten uns ohrfeigen können, dass wir den 15 nicht extrahiert hatten, da man ihn für eine festsitzende Versorgung eigentlich nicht gebraucht hätte. Nach geschlossener Kurrettage ohne Doxyclinabdeckung heilt der Abszess ab, aber der linguale Krater zwischen 14 und 15 wird deutlich größer. Ansonsten findet sich  nirgendwo Pus, keinerlei Anzeichen eines Rezidivs der ursprünglich als möglicherweise therapieresistent eingestuften Parodontitis.

Röntgenbefund im Mai 2001 (Klick!)

Mai 2001 (Zahnfilm 1): 3. Par-Abszess 14/15 mit Fistelung.  Der Knochenabbau zwischen 14 und 15 reicht lingual nunmehr fast bis zum Apex, die Tasche ist auch mit Interdentalbürstchen nicht mehr sauber zu halten. Ansonsten gleichbleibend unauffälliger Parodontalbefund, nirgendwo sonst Pus, einwandfreie Hygieneverhältnisse Die Kanäle an 14 und 15 waren leider nicht weiter durchgängig, obwohl wir sie gerne überinstrumentiert hätten. Die Aufnahme täuscht jedoch ein wenig, weil wir dicke Guttapercha-Stifte verwenden, um gut zu komprimieren. Das WF-Material reicht also viel tiefer als es die Guttapercha-Spitzen vortäuschen.

Therapie:  Nochmals geschlossene Kurrettage ohne Doxycyclin. Die Fistel heilt ab. Nach 10 Tagen offene Kurrettage (nur palatinale Schleimhaut ca. 1 cm zwischen 14 und 16 abpräpariert), Knochen soweit vorhanden (besonders bukal fast vollständig erhaltene Wand) sorgfältig angefrischt, dann mit Eigenblut aus der Wunde vermischtes Cerasorb (mittlere Körnung) in den Krater hineingestopft und gut komprimiert, dann Wundverschluss OHNE Membran, Doxyclin für eine Woche.

Kontrolle nach Augmentation (Klick!)

Zahnfilm 2 (Mai 2001): aufgefüllte Knochendefekte 14/15, 15/16, Beachten Sie den kleinen, nicht mit Cerasorb aufgefüllten Restdefekt apikal zwischen 14 und 15. Für diesen engen Bereich war die gewählte Körnung ein wenig zu groß. Wir werden die Körnung in Zukunft staffeln.

Nach 2 Tagen Nahtdehiszenz und lingual klaffender Wundrand, man kann die Cerasorb-Kügelchen von oben deutlich sehen, Anfrischen der Wundränder, erneute Naht

Nach 2 Tagen wieder Nahtdehiszenz mit exponierter Cerasorb-Oberfläche. Erstaunlicherweise gehen nach Angaben der Patientin nur wenige, einzelne Granula verloren. Die Patientin wird angehalten jetzt einfach sorgfältig und nachhaltig mit Interdentalbürstchen zu putzen, um die sekundäre Wundheilung anzuregen.

Danach haben wir die Patientin lange nicht gesehen, aber oft an sie gedacht. Sie erscheint erst wieder im November 2001 und berichtet, völlig beschwerdefrei gewesen zu sein.

Zahnfilm 2 (November 2001):
Röntgenologisch sehr ordentliches Augmentationsergebnis. Die Sondierungstiefe entspricht dem Röntgenbefund. Klinisch zeigen sich vestibulär völlig unauffällige Verhältnisse, palatinal zeigt sich eine horizontale, ca. 1 mm hohe Schleimhautwulst von 14-16 in dem Bereich der ehemaligen Nahtdehiszenz, vestibulär dieser Aufwerfung zeigen sich interdental sehr gut ausgebildete Papillen, die den Interdentalraum nahezu vollständig verschließen, nach Angaben der Patientin keine Blutung bei Gebrauch des Interdentalbürstchens. Speisereste gelangen nicht mehr automatisch zwischen die Zähne. Beachten Sie die deutliche Resorption des überpressten Sealers an der distalen Wurzel von 16.

Diskussion:

Wir denken:

1) dass man ab einem gewissen Grad von Knochenabbau und Einbrüchen nach sorgfältiger Kurrettage wurzelbehandeln und dabei sorgfältig desinfizieren muss, ehe man die Diagnose “Therapieresistente Parodontitis” vorschnell stellt und zur Zange greift. Durch die geschilderten Maßnahmen lässt sich die in der Literatur angegebene Frequenz von vermeintlich therapieresistenten Parodontitiden deutlich senken.

2) will man solche Zähne langfristig erhalten, muss man sie darüber hinaus sehr großzügig primär verblocken, um solide Einheiten zu bilden und die Zähne ruhig zu stellen. Genau wie man das mit einem gebrochenen Bein macht. Das gilt sowohl für die festsitzende als auch für die teleskopierende Versorgung im parodontal massiv geschädigten Gebiss. Eine Versorgung mit einem primär verblockten, laborgefertigten Langzeitprovisorium stellt hierbei eine gute Möglichkeit dar, die notwendige Zeit zu gewinnen, um den Verlauf beobachten zu können, ohne zuviel Geld zu riskieren, nach dem guten Motto: “Let’s see, what nature does!”

3) der Erfolg oder Misserfolg einer Augmentation parodontaler Knocheneinbrüche ist möglicherweise weniger von der Verwendung einer Membran als viel mehr von der Immobilisierung der benachbarten Zähne (Verblockung) in der Einheilphase abhängig

4) Cerasorb scheint tatsächlich zu funktionieren.

5)  Zum Glück muss Prof. Lindhe diesen Fall nicht anschauen, sonst würde er vielleicht in Versuchung geraten,  schon wieder seine Meinung zu ändern……smile…

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